Mönchsrepublik Athos - 200 Jahre südlich von Europa
Frauen ist der Zutritt seit 1.000 Jahren verboten, Pilger benötigen ein Visum: Die Halbinsel Athos im Nordosten Griechenlands ist eine teilautonome Mönchsrepublik und das Zentrum des orthodoxen Christentums. Zu Land trennt sie dichtes Gestrüpp und eine durchgehende Mauer vom Rest der EU - geistig noch viel mehr.
Bereits die Anreise per Fähre ist ein Erlebnis. Ein Boot voller Männer; vorwiegend Pilger, einige Mönche und offenbar auch Arbeiter, begeben sich auf eine schwimmende Zeitmaschine. Diese erreicht vom griechischen Festland aus - in einer Stunde Fahrzeit - die von Mönchen regierte Parallelwelt. Eine Welt, die in der Vergangenheit stehen geblieben zu sein scheint.
Ein strenges Aufnahmeprotokoll gewährt Zutritt in eines der 20 Klöster und gibt die Erlaubnis für die erste Übernachtung. Diese ist kostenlos, allerdings dürfen Besucher nur eine Nacht pro Kloster verbringen, dann muss man in ein anderes wechseln.
Die Tore der Klöster werden täglich bei Sonnenuntergang geschlossen und mit dem Ende des arbeitsreichen Tages der Mönche, beginnen die liturgischen Nachtstunden. Der Tag endet mit einem Gebet und startet bereits wieder um 3 Uhr morgens, mit einem fünfstündigen Gebet. Vor unserer Ankunft war ich vom Mythos Athos "Wer in sich ruht, braucht keinen Schlaf" noch tief beeindruckt, doch als ich gegen vier Uhr morgens einige Mönche schnarchen höre, bin ich nicht mehr ganz so ehrfürchtig. Für Felix, meinen fotografischen Partner auf dieser Reise, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, ob bei diesem Auftrag die allgemeine Dunkelheit in den Klöstern, die stete Ablehnung gegenüber Fotografie, oder das bevorstehende Frühstück aus Kichererbsenbrei mit Zwiebeln, die größte Herausforderung darstellt.
Nach einer fünfstündigen Morgenmesse und einem sehr speziellen Frühstück, hält uns nichts mehr in unserem Nachtquartier, dem Kloster Diouchiarou. Da uns ein zugesagtes Treffen mit einem Mönch namens Theokistos verwehrt wurde, verlassen wir die Klostermauern mit müden und hängenden Köpfen. Es ist erst 9 Uhr, doch unser Tag ist bereits sechs Stunden alt. Umso schöner erscheint uns die Wanderung von der Westküste zum Inselhauptort Karyes. Auf schmalen Maultierpfaden waten wir teilweise durch einen knietiefen, herbstlichen Blätterteppich. Der Urwald, der uns umgibt, glänzt in der Herbstsonne. Anhand der nicht vorhandenen Spuren erkennen wir, dass diese schönen Wege kaum noch begangen werden.
Nach mehrstündiger Wanderung erreichen wir ein Kloster am Ortseingang von Karyes. Wir fragen einen Mönch, der im kleinen Laden vor dem Kloster sitzt, wie viele Besucher täglich vorbeikommen. "Ich beantworte nur Fragen, die euch näher zu Gott bringen", erklärt er uns und schweigt. Stille!
Wir überlegen kurz und wenden uns schließlich erneut mit der Frage "welche Frage uns denn näher zu Gott bringen könnte", an den Mönch. "Er sei nicht weise genug für so eine Frage", so seine Antwort. Na bravo! Ein weiteres Mal erleben wir jenes Katz und Maus Spiel, das uns bisher bei all unseren Kommunikationsversuchen mit den Mönchen hier widerfahren ist. Erneut Stille.
Doch plötzlich beginnt der Mönch zu sprechen und klärt uns darüber auf, dass er es leid sei, mit Leuten wie uns über irgendwelche Unwichtigkeiten zu reden. Für ihn gibt es nur einen Gott und nur eine Wahrheit. Er erklärt uns, wie er, in seiner Interpretation der einzigen Wahrheit, in seinem Glauben Halt gefunden hat. Wir beginnen zu verstehen, dass nicht nur die Klostermauern der Mönchsrepublik Athos viele hundert Jahre alt sind.
Unsere Gedanken zu den Standpunkten des Mönchs bezüglich Demokratie und Toleranz, formulieren wir aus Respekt vor unseren Gastgebern sehr vorsichtig. Obwohl unsere Ansichte.n unterschiedlicher nicht sein könnten, werden wir mit einem sehr emotionalen und tiefgreifenden Gespräch für unsere Zurückhaltung belohnt. Der Mönch beginnt aus seinem Leben und seiner persönlichen Vergangenheit, außerhalb der geschützten Mönchswelt, zu erzählen. Der Athos, sagt er, sei Medizin für seine Seele.
Er fügt hinzu, dass es auch bei den Mönchen untereinander Zwistigkeiten gibt - doch jeden Tag beendet man hier mit gegenseitiger Vergebung. Wir sind sehr bewegt und auf unsere Frage, wie man einem Menschen vergibt, antwortet er wenig überraschend: "Betet für ihn". Bedenkt man die sprachliche Sinnverwandtschaft, dann findet man in "Bittet für ihn" ein sehr breit anwendbares Rezept.
Durch diesen intensiven Austausch mit Mönch Nikodimus, durften wir, die von Heinz Nussbaumer wie folgt beschriebene Geisteshaltung der Athos Mönche hautnah erfahren:
"Am Athos gibt es nicht zu diskutieren. Für die Mönche ist kein Zweifel offen. Hier wird geglaubt. Alles andere ist Häresie."
Wir verabschieden uns und haben nun nur noch einige hundert Meter bis ins Zentrum von Karyes. Neben einigen wenigen Geschäften gibt es hier sogar zwei kleine Restaurants. Doch an keinem der Läden ist ein Schild angebracht, von Werbung jeglicher Art ganz zu schweigen. Dieses Straßenbild ist wohl einzigartig in Europa.
Bereits nach einer kurzen Pause geht es für uns weiter Richtung Ostküste. Aufgrund der kurzen Nachtruhe im Kloster, möchten wir die kommende Nacht im Freien verbringen. So umgehen wir den früh abendlichen Verschluss der Klöster und ein atemberaubender Sternenhimmel steht uns bevor. Die kaum vorhandene Lichtverschmutzung ist ein positiver Nebeneffekt der kargen Nachtbeleuchtung auf der Halbinsel. Unserem guten Kartenmaterial sei Dank, dass wir einen sehr schönen, wildromantischen Wanderweg entdecken, auf dem wir ganz alleine unterwegs sind.
Während sich die Pilger mit Minibussen zwischen den Klöstern bewegen, nutzen die Mönche teils hochpreisige Geländewagen als Fortbewegungsmittel, um auf den breiten, holprigen Schotterpisten voranzukommen. Viele der von uns begangenen alten Karrenwege wurden in den letzten Jahrzehnten durch breite Schotterpisten ersetzt. Denn neben dem Pilgertourismus müssen auch viele Gerätschaften zwischen den 20 Klöstern hin und her bewegt werden. Aktuell kommt kaum ein Kloster ohne Baukran aus. Neben den griechisch Orthodoxen, gibt es am Athos auch ein bulgarisches, ein serbisches und ein russisches Kloster. Standen die Klöster vor ca. 30 Jahren mit dem Verfall des Ostblocks am Ende ihrer Existenz, so ist von dieser wirtschaftlichen Not am Athos heute nichts mehr zu spüren. Am heiligen Berg sind neben Russland vor allem die EU sowie die UNO willkommene Geldgeber. Die Klöster sind UNESCO Weltkulturerbe.
Als wir uns nach dem Sonnenaufgang wieder Richtung Westküste aufmachen, um dort nochmals eine Nacht in einem Kloster zu verbringen, führt unsere Route erneut an zwei ansehnlichen Klöstern vorbei. Die Mönche sind gewohnt abweisend. Unzählige Katzen freuen sich hingegen über unsere Ankunft. Sie streunen um die aufwändig sanierten Bauwerke - neben Hühnern sind sie wohl die einzigen weiblichen Wesen die am Athos erlaubt sind. Ihre Aufgaben sind klar: die Katzen sollen den Mäusen in den Klöstern Herr werden und die Hühner liefern das Eigelb - ein unerlässlicher Rohstoff für die Ikonenmalerei.
Auch die beiden Klöster Karakallou und Filotheou wirken sehr beeindruckend auf uns und die stes fleißigen Mönche sind während unseres Besuchsmit der Olivenernte beschäftigt. Die Kulturschätze der Klöster am Athos sind einzigartig und die Ruhe ist sprichwörtlich. Der Athos - gerne als Ort der Stille bezeichnet - macht seinem Namen alle Ehre. Kein einziger Mönch grüßt uns von sich aus. Doch was wir als unhöflich empfinden, ist die Konzentration der Mönche auf das wesentliche Element ihres Tuns. In einem Text zum Athos steht:
"Ich habe oft bedauert geredet zu haben. Nie aber habe ich bedauert geschwiegen zu haben."
Für unsereins mag dies radikal erscheinen. Für einen Athos Mönch ist es tägliche Realität. Als sich auf unserer langen Wanderung Richtung Kloster Ksiropotamou der Walt lichtet, bekommen wir zum ersten Mal den majestätischen (oder in diesem Fall wohl besser) "göttlichen" Athos zu Gesicht. Uns wird klar, wieso der 2.033 m hohe Berg seit dem 9. Jahrhundert Eremiten und Einsiedler anzieht. Auch heute sind an den steilen Felsflanken der Südküste nicht nur Klöster, sondern auch Einsiedeleien, bildgebend.
Ironischerweise wird unser Weg kaum begehbar, sobald sich der Athos zeigt. Das Gestrüpp steht dicht und wir kämpfen uns nur langsam voran. Uns wird klar, dass wir eine Alternative für die Nacht brauchen, denn vor dem allabendlichen Schließen der Klostertore können wir das für heute Nacht geplante Kloster keinesfalls mehr erreichen.
Im Mondschein gelangen wir in den Ort Dafni, von wo aus am kommenden Tag unsere Fähre zurück ins 21. Jahrhundert ablegen wird. Es gibt hier tatsächlich eine Hafenkneipe, in der wir zu unserem Glück ein Abendessen erhalten. Doch auch dieser Ort ist seltsam. Es ist 19 Uhr und alles ist wie ausgestorben. Wir fragen den freundlichen Wirt, wo wir übernachten können. Er spricht kaum Englisch oder Deutsch und beginnt hektisch herumzutelefonieren. Wir spüren wie sich ein kleines Abenteuer ankündigt und schauen diesem erwartungsvoll entgegen. Kurze Zeit später hält ein schrottreifer Pickup vor unserer Zuflucht. Der Wirt strahl uns an und schreit eifrig: "go, go, go!" Wir werfen unsere Rucksäcke auf die Ladefläche und setzen uns hinein, ohne auch nur annähernd zu wissen, was unser Ziel sein könnte.
Es ist dunkel im Wagen. Weder die Innenbeleuchtung noch die Tachoanzeige funktionieren. Am Steuer sitzt ein Mönch, der sich sogleich eine Zigarette anzündet. Im Mondschein erkennen wir auch das Getränk in seiner Hand, es ist eine Dose Bier, welche er während der Fahrt leert. Mit wenigen Worten gibt er uns zu verstehen, dass es zu seinem Hotel in Karyes gehen wird. Der Weg zu Gott, den dieser Mönch beschreitet, erscheint uns sonderbar. Doch seine Hilfsbereitschaft und sein freundliches Lächeln strahlen mehr Wärme aus, als alles was wir bisher innerhalb der penibel restaurierten Klostermauern erleben durften.
Dass es in Karyes ein Hotel gibt, glauben wir erst als wir davor stehen. Ohne die Hilfe unseres Mönch-Chauffeurs hätten wir es niemals gefunden. Es wird nirgends beschrieben und natürlich deutet auch kein Schild auf seine Existenz hin. Im ganzen Ort ist kein Mensch zu sehen. Wir fragen uns, wie viele Hauptstädte es wohl gibt, in denen um diese Zeit keine einzige Straßenlaterne brennt. Die Freundlichkeit unseres Gastgebers Tassos hellt allerdings alles ein wenig auf. Spätestens als er uns ein warmes Bett und die erste warme Dusche seit 3 Tagen in Aussicht stellt, ist die Frage nach der Dunkelheit in Karyes vergessen.
Tassos erklärt uns, dass er 2 Wochen pro Monat am Athos arbeitet, die restliche Zeit spielt er Musik in einer Heavy-Metal Band in Tessaloniki. Wir schmunzeln über die unerwartete Vielfalt, die uns der Athos zum Abschluss unserer Reise präsentiert.