Unbezahlbare Tage auf Brač

Es ist 6.30 Uhr. Auf der Insel Brač beginnt ein beschaulicher Oktobertag. Die Sommersaison hat ein Ende gefunden, Ruhe ist eingekehrt. Wir sitzen entspannt im Fischerdorf Supetar in der einzigen Bar, die bereits so früh am Morgen geöffnet hat und beobachten, wie am Hafen ein Fischerboot einfährt. Während ein paar Männer aus dem Dorf beim Anlegen helfen, verwöhnt uns die freundliche Bedienung mit duftendem Kaffee und kroatischen Leckereien, frisch von der Bäckerei nebenan. Momentan sind wir wieder recht froh, unseren ursprünglichen Plan wieder verworfen zu haben.

Fotograf Felix, Stephan und ich, Alex, wollen das Leben und die Wanderrouten auf Brač erkunden und unsere Erlebnisse in einer kleinen Geschichte festhalten. Unsere erste Idee hierzu war, diese Erkundungsreise ohne Bargeld und Kreditkarten anzutreten. "Ohne Kohle auf Brač" - sollte die Überschrift lauten.

Das klingt aufregend und erinnert den einen oder anderen womöglich an Reinhard Fendrichs Lied Strada del Sole mit der romantisch-abenteuerlichen Zeile "I hob kahne Lire...

Fischerboot Brac

Doch dann kamen uns Zweifel. Braucht es denn einen solchen Aufhänger? Gibt es heute nicht schon ausreichend Extreme - und vermutlich in diesem Moment bereits eine TV-Show, bei der es gilt, nicht nur geldlos, sondern auch noch barfuß auf einem Bein hüpfend, mit verbundenen Augen eine Insel zu umrunden? Wir haben uns also fast ein wenig geschämt, dass auch wir an einen spektakulären Anstrich gedacht haben - dabei ist unser Zugang zum Reisen ein ganz anderer.

Fischer auf Brac

Neben dem schmackhaften Frühstück tischt uns unsere nette Bedienung Insel-Geschichten auf. Ivana erzählt uns von der Bora, ihrem Lieblingswind aus dem Nordwesten, der die Luft klar und die Gedanken frei macht. Und sie erzählt uns vom Goldenen Horn, dem sichelförmigen Traumstrand und Kroatiens wohl bekannteste Tourismusattraktion. Diesen Strand zu besuchen hatten wir natürlich ohnehin vor. Dass der Name erst in den 60er Jahren "vergoldet" wurde, war uns allerdings nicht bekannt: das einfache Horn wurde zum Goldenen Horn. Ein wenig muss ich Schmunzeln, als mir auf dem Weg zum Busbahnhof unser ursprünglicher Plan durch den Kopf schießt: "Brač ohne Kohle" liegt weit hinter uns, das Goldene Horn voraus.

Fußball-Match am Hauptplatz

Bevor wir in den Bus Richtung Süden steigen, fordern uns am Hauptplatz zwei Buben zu einem Fußball-Match heraus. Wir treten an zum frühmorgendlichen National-Cup gegen Kroatien. Selbstverständlich haben wir gegen den amtierenden Vizeweltmeister keine Chance, aber wir sind bestens gelaunte Verlierer, die den besten Durchblick haben. Zumindest vom Vidova Gora, dem höchsten Punkt der Adriainsel, zu dem wir nun aufbrechen.

778 Meter ragt der Aussichtsberg auf, gekrönt von einem riesigen, weißen Gipfelkreuz aus Stein. Bis nach Italien kann man von hier blicken, aber vor allem auch auf das Goldene Horn, fast 800 Meter unter uns. Wir haben unser Fernglas dabei, mit dem wir schier jedes goldfarbene Sandkorn zählen können. Wir nehmen die Berge der Insel Hvar in Augenschein und die Höhenzüge auf Peljesac, bleiben an den Booten im türkisfarbenen Wasser hängen und denken uns aus, worüber auf ihnen wohl gerade diskutiert wird. Weiter wandert das Glas hinauf an den Hängen über die Olivenhaine und Kiefern, ruht auf den entspannt kauenden Schafen und den schaufenden Wanderern - und wieder zurück an das herausragende Goldene Horn.

Wanderung auf Brac

Felix ist das erste Mal mit uns unterwegs. Beim Anblick der angerichteten Bärkopf-Gipfeljause verschwinden seine mitgebrachten Müsliriegel schnell wieder im Rucksack. Doch als wenig später der Sonnenuntergang beginnt, hat er nur noch Kopf und Augen für seine Kamera. Stephan und ich stehen auf einem Felsvorsprung. Wir sind uns bewusst, wie gesegnet wir sind, ein solches Erlebnis als "Arbeit" bezeichnen zu können.

Der Abstieg ins Tal, wo wir mit Milan - einem Wanderführer aus der Region - verabredet sind, erfolgt bei sternenklarer Herbstnacht. Milan führt uns in sein Lieblingsrestaurant und erzählt uns interessantes über die Plavac Traube, aus der sein Lieblingswein entsteht. Die besagte Traube hat es mit kroatischen Einwanderern bis nach Kalifornien geschafft und gilt als Vorfahre der dortigen Zinfandel-Weinsorte. Bis spät in die Nacht erzählen uns Milan und seine Freunde spannende Geschichten von der Insel.

Bevor meine schweren Augenlieder zufallen, denke ich noch daran, dass wir heute kaum Geld ausgegeben haben - und doch Erlebnisse hatten, die mit keinem Gold der Welt aufzuwiegen sind.

Bereits um 8 Uhr treffen wir uns am nächsten Morgen mit Milan. Er möchte uns die Gegend rund um sein Heimatdorf Bol zeigen. Es ist Montag und so bleibt uns eine weitere Niederlage gegen Kroatien erspart. Die Kinder haben Schule. Wir erfahren viel über die bewegte Historie der Insel, während wir auf einem schmalen Pfad (der bereits von Napoleons Truppen zum Transport ihrer Geschütze genutzt wurde) auf die zentrale Hochebene der Insel aufsteigen. Wir spüren die kalte Bora aus dem Nordwesten. Der karge Stein um uns herum, so erklärt Milan, sei weltberühmt. Die Kalksteine von Brač finden sich sowohl im Weißen Haus als auch im Österreichischen Parlamentsgebäude.

Wanderung auf den Vidova Gora, Brac

Beim Abstieg vom Hochplateau kommen wir in den Windschatten der Insel und die Nachmittagssonne ist unser angenehmer Begleiter auf dem Rückweg ins Tal. Schon von weitem können wir das Goldene Horn sehen. Kurze Zeit später sitzen wir dort am Strand und blicken in einen überwältigenden Sonnenuntergang. Der Himmel über uns ist feuerrot, ein Fischer breitet in Seelenruhe seine Netze aus und das Bier schmeckt leicht nach Salz - und wieder: ein unbezahlbarer Moment.

Am nächsten Tag treten wir bereits wieder die Rückreise an. Vor unserer Abfahrt nach Supetar treffen wir uns noch mit Toma, der oberhalb vom Fischerhafen in Bol einen kleinen Markt betreibt. Er ist ein Mann voller Energie. Während andere im Dorf von der langen Sommersaison ermüdet scheinen, strahlt Toma wie ein Leuchtturm dieser Küste. Woher er seine Kraft gewinnt? Toma lacht: "Von der Arbeit und einer großartigen Vision", sagt er uns mit Freude in seinen Augen.

Toma am Marktstand, Bol

Gemeinsam mit seinem Bruder arbeitet er im Sommer täglich 12 bis 14 Stunden auf dem Markt. Doch nun, nach mittlerweile 15 Jahren, sei für ihn die Zeit für eine Veränderung gekommen. Ein neuer Weg hat sich vor seinem geistigen Auge aufgetan, erklärt er. In einem Jahr wird er Richtung Kalifornien aufbrechen, um dort sein Leben in den Dienst der Obdachlosen zu stellen. Wir sind überrascht und bewegt zugleich. Toma begleitet uns in Gedanken auch noch auf dem Heimweg. Wieso er ausgerechnet nach Kalifornien will, bleibt uns ein Rätsel. Wo aber der Ursprung seiner starken Ausstrahlung liegt, dazu haben wir alle drei eine klare Vorstellung. Danke Toma! Wir wünschen dir alles Gute - und wir haben keinen Zweifel, dass du den Reichtum der Welt erfahren wirst.